Knigge kann auch übers Ziel hinausschießen
geschrieben am 14. April 2010 in der Kategorie AllgemeinSeit ungefähr einem Jahrzehnt ist es so, dass Knigge Seminare boomen wie „geschnitten Brot“. Auch ich habe bereits an mehreren teilgenommen, um mich hinsichtlich meines Berufslebens und auch in privaten Situationen besser und adäquat zurechtzufinden. Dennoch ist mir aufgefallen (sowohl im beruflichen als auch im privaten Kreis), dass viele Leute zwar jetzt ein besseres Benehmen an den Tag legen, aber parallel dazu auch zu einem gewissen übertriebenen Formalismus und zur Übertreibung neigen. Herzlichkeit, Wärme und Natürlichkeit gehen immer mehr ab, was der Förmlichkeit und Steifheit vieler Menschen geschuldet ist, die es mit dem Knigge ein bisschen zu genau nehmen. Beispielsweise legen viele Führungskräfte einen ethischen, taktierenden, berechnenden und eiskalten Führungsstil an den Tag, während sie ihren „Untergebenen“ selbst Tag für Tag gute Umgangsformen, Etikette und Stil einbläuen.
Viele kennen sich mit dem Knigge selbstredend nicht aus, dieser Umstand wird mittlerweile gegen diese Personengruppe häufig auch als Waffe gerichtet. Mir hat jetzt der Referenz meines letzten Knigge-Kurses verklickert, dass eben dies nicht die Intention Adolf Freiherr von Knigges war. Ich diskutierte mit ihm lebhaft, gestenreich und auch kontrovers, ob man sich das oft verpönte „Prost“ am Stammtisch oder auch auf Geschäftsessen wieder zurufen darf. Daraufhin antwortete der Experte, dass man unterscheiden müsse, ob man sich bei einem gehobenen Anlass, in einer Gaststätte oder im Bierzelt befinde. Und je nachdem worum es eben geht, könne das natürlich ausgesprochen werden. Nach wie vor werde in Gasthäusern das beliebte „Guten Appetit“ oder „Prost“ nicht aussterben. Aber es gelte zu unterscheiden, wann Formelles und wann Lockerheit zu Tage treten darf.
Heiß diskutiert haben wir auch das Thema, ob unsere weiblichen Kolleginnen im Hochsommer bei 30°C und mehr immer noch die Nylonstrumpf-Pflicht einhalten müssten. Der Referent erklärte mir, dass man die Damenstrümpfe im sommerlichen Kleid ruhig weglassen könne. Mit der Einschränkung allerdings, dass die Damen über perfekt gepflegte Füße und Beine verfügen.